Die Diskussion über die Zukunft der SRG wurde mit der Einreichung der Halbierungsinitiative der SVP lanciert. Vor Wochenfrist kam der Zeitungsverbund von Tamedia («Tages-Anzeiger» usw.) zum Schluss, dass es anspruchsvoll sei, eine nüchterne Debatte zu führen. Die SVP halte den Druck in diesem Dossier seit Jahren hoch. «Wer nur schon Dinge hinterfragt, läuft Gefahr, als Steigbügelhalter der Volkspartei abgestempelt zu werden.» Doch nur wenn die Menschen nachvollziehen können, wofür sie ihre Serafe-Rechnung bezahlen, bleibe SRF tatsächlich «bi de Lüt».
Seitens der Allianz Pro Medienvielfalt kontert jetzt Roger Blum*. Er plädiert in seiner Replik dafür, dass man in der Diskussion über die Halbierungsinitiative auch anerkenne müsse, was die SRG richtig macht. Sein Artikel wird nachfolgend eins zu eins wiedergegeben.
«Würden wir die SRG noch einmal genau so erfinden, wenn sie noch nicht existierte?», fragt Jacqueline Büchi in ihrem interessanten Kommentar zur Halbierungsinitiative. Vermutlich würde die SRG bei einem Neustart gleich von Anfang an alle denkbaren Onlinekanäle bespielen und die Verleger dafür zehn Jahre lang entschädigen – wie damals bei der Einführung der Fernsehwerbung. Das ginge aber nicht mit der Hälfte der heutigen Gebühren. Und wenn Jacqueline Büchi den Vorwurf erhebt, die SRG-Freunde verteidigten sich gegen die Initiative mit zu abstrakten Argumenten, so kann die Antwort nur lauten: Man darf nicht nur auf das Alltägliche gucken, man muss auch das grosse Ganze sehen.
Natürlich macht die SRG Fehler. Ihre obersten Führungsorgane sind oft etwas unsensibel. In den Programmen gibt es Unzulänglichkeiten, jedenfalls so viele, dass die «Weltwoche» und der «Kleinreport» immer wieder Anlass zur Kritik haben. Aber die SRG wird viel genauer kontrolliert als jedes andere Medienhaus in der Schweiz, die journalistische Arbeit noch stärker als die des Managements. Bei den Ombudsstellen gehen Jahr für Jahr über 1000 Beanstandungen ein. Dazu nehmen die betroffenen Redaktionen jeweils ausführlich Stellung, und die Ombudsleute prüfen in jedem Fall gründlich, ob ein Verstoss gegen das Radio- und Fernsehgesetz vorliegt. Ein Teil der Fälle gelangt danach auch noch vor die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI), die einen rechtsgültigen Entscheid fällt.
Die Bilanz ist erdrückend: In 70 bis 90 Prozent der Fälle haben die Journalistinnen und Journalisten keine Regeln verletzt. Sie arbeiten sachgerecht. Aus Fehlern lernen sie. Und eine neue Studie des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich, durchgeführt von Linards Udris, kommt überdies zum Schluss, dass die Schweizer Medien, auch die SRG, insgesamt politisch vielfältig und ausgewogen berichten und dass die SRG in der Deutschschweiz in der politischen Positionierung mit –1 in der Mitte liegt (–100 = ganz links, +100 = ganz rechts).
Gerade in Krisenzeiten wie jetzt sind die Service-public-Sender mit ihren Korrespondentennetzen wieder gefragt.
Überhaupt hat das Publikum auch international gesehen nirgends so viel Einfluss auf das öffentliche Radio und Fernsehen wie in der Schweiz: Man kann kostenfrei Beanstandungen und Beschwerden einreichen. Man kann den Basisorganisationen der SRG beitreten und sich in die Programmkommissionen und Publikumsräte wählen lassen, die einen kritischen Dialog mit den Redaktionen führen. Wo gibt es das sonst?
Dass im Alltag viele Menschen, vor allem jüngere, nicht mehr linear Radio oder Fernsehen konsumieren, ist unbestritten. Aber gerade in Krisenzeiten wie jetzt sind die Service-public-Sender mit ihren Korrespondentennetzen wieder gefragt. Um all das zu finanzieren, samt Kulturberichterstattung und Kulturförderung und Livesport, braucht die SRG weiterhin angemessene Gebühreneinnahmen.
Und da muss man das grosse Ganze sehen: Die beiden amerikanischen Forscher Timothy Neff und Victor Pickard von der University of Pennsylvania haben bei der Analyse von 33 Ländern herausgefunden, dass die Demokratie dort am gesündesten ist, wo ein finanziell gut ausgestatteter und programmlich unabhängiger öffentlicher Rundfunk besteht. Auch wenn das abstrakt tönt, muss man es immer mitbedenken, wenn über die Zukunft der SRG diskutiert wird.
* Roger Blum ist emeritierter Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Universität Bern, ehemaliger Präsident der UBI und ehemaliger Ombudsmann der SRG Deutschschweiz sowie Co-Präsident der Allianz Pro Medienvielfalt.